
Quelle: BMV
Über das Deutschlandticket, die Herausforderungen bei der Bahn, die deutsche Automobilindustrie und vieles mehr spricht Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder im Interview mit der Funke Mediengruppe.
Herr Schnieder, wie oft nehmen Sie das Auto?
Relativ häufig. Vor meiner Ministerzeit war ich in Berlin passionierter S-Bahn-Fahrer, aber jetzt funktioniert das leider nicht mehr. Bei mir zu Hause in der Eifel haben wir einen öffentlichen Nahverkehr, der diesen Namen kaum verdient. Da ist man auf das Auto angewiesen.
Was fahren Sie?
Wir haben ein Elektrofahrzeug zu Hause, einen VW ID3.
Wie schnell sind Sie auf der Autobahn unterwegs?
Selten schneller als 100 Kilometer in der Stunde. Dann komme ich ans Ziel, ohne zwischendurch aufzuladen.
Ein Mehrheit der Deutschen wünscht sich ein Tempolimit auf Autobahnen. Warum sperrt sich die Regierung dagegen?
Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen beträgt nicht einmal 115 Stundenkilometer. Wir haben ein dichtes, stark befahrenes Netz, das in großen Teilen bereits eine dauerhafte Geschwindigkeitsbegrenzung hat. Dazu kommen Baustellen und Staus. Man kann in Deutschland nur auf wenigen Strecken wirklich schnell fahren. Daher halte ich ein generelles Tempolimit auf Autobahnen für überflüssig.
Jedes Jahr sterben immer noch mehrere tausend Menschen auf deutschen Straßen – finden Sie sich damit ab?
Nein. Vision Zero – also keine Getöteten und Schwerverletzten im Straßenverkehr – ist seit Jahren das erklärte Ziel. Aber das erreichen wir nicht über ein generelles Tempolimit.
Erreichen wir dieses Ziel mit strengeren Grenzwerten für Alkohol und Cannabis am Steuer?
Bei Cannabis bin ich sehr kritisch. Die Wirkung im Verkehr halte ich für relativ unberechenbar. Das müssen wir uns in dieser Wahlperiode genau anschauen. Bei Alkohol ist das 0,5 Promille Limit ausreichend und zielführend. Ich empfehle natürlich, sich ganz ohne Alkohol ans Steuer zu setzen. Grundsätzlich gilt: Jeder Fahrer muss prüfen, bevor er ins Auto steigt, ob er körperlich, geistig und psychisch fit genug ist, um fahren zu können. Das gilt ganz besonders, wenn Alkohol oder Cannabis im Spiel ist.
Warum nicht 0,0 Promille?
Bei vielen gesellschaftlichen Anlässen stößt man aus Höflichkeit mit an und nimmt einen Schluck – ohne dass man damit gleich den Straßenverkehr gefährdet. Aber noch einmal: Am besten gar nichts Alkoholisches trinken, wenn man sich noch ans Steuer setzen will.
Sind Hochbetagte im Verkehr ein Sicherheitsrisiko?
Nein, das geben auch die Zahlen nicht her. Von Senioren geht im Straßenverkehr kein besonderes Risiko aus. Wenn wir die Altersgruppen vergleichen, haben wir eher ein Problem mit den ganz jungen.
Dann halten Sie nichts von verpflichtenden Fahrtests für Menschen über 70 oder 80?
Nein, verpflichtende Fahrtests für Senioren lehne ich ab.
Die Klimakrise hat sich dramatisch verschärft – kann man überhaupt noch guten Gewissens Auto fahren?
Wir kommen in weiten Teilen der Gesellschaft ohne Auto nicht aus. Daher treiben wir die Entwicklung der E-Mobilität voran mit dem Ausbau des Ladenetzes und Kaufanreizen für EMobile. Das Auto an sich ist kein Problem.
Die Hauptstadt Berlin steuert auf einen Volksentscheid zur autofreien Innenstadt zu. Die Initiatoren wollen erreichen, dass jeder dort nur noch zwölfmal im Jahr privat mit dem Auto fahren darf. Wie ordnen Sie das ein?
Darüber werden die Berlinerinnen und Berliner entscheiden. Ich persönlich halte von pauschalen Vorgaben für eine autofreie Innenstadt gar nichts.
Und wenn es Ausnahmen für E-Autos gibt?
Wir wollen, dass die Menschen mobil sind in der Stadt. Es gibt klügere Methoden, den Verkehr zu steuern, als mit einem platten Verbot.
An welche denken Sie?
Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen. Wobei ich stark überlegen muss, was man in Berlin noch verbessern könnte. Ich bin ein Landei und mit dem ÖPNV in Berlin nahezu wunschlos glücklich.
Eine Prognose, bitte: Bleibt es beim Aus für neue Verbrenner ab 2035?
Ich hoffe nicht. Ein europäisches Verbrennerverbot verringert die Zahl der Autos mit Verbrennungsmotor nicht wesentlich.
Das müssen Sie erklären.
Ich betrachte das global. Wenn die EU den Verbrennungsmotor verbietet und der Rest der Welt dabei bleibt, wirkt sich das kaum auf das Klima aus.
Wir könnten Vorreiter sein.
Vorreiter wobei? Unsere Automobilindustrie ist extrem wichtig für unser Land. Da dürfen wir den Verbrennungsmotor nicht aufgeben, den man mit modernen Kraftstoffen klimafreundlich betreiben könnte. Wir wollen technologieoffen bleiben. Ich bin strikt dagegen, dass wir uns der Kompetenzen berauben, die wir hier in Deutschland haben.
Welchen Beitrag leistet der Verkehr, um die Klimaziele einzuhalten?
Ich habe eine Expertenkommission berufen, die bis Mitte Juli eine breite Palette an praktikablen Vorschlägen erarbeiten soll.
Wir sind gespannt. Wie praktikabel ist denn das Deutschlandticket?
Im Koalitionsvertrag steht, dass wir das Deutschlandticket fortsetzen wollen. Aber es steht auch drin, dass der Ticketpreis bis 2029 nicht steigen darf. Bund und Länder sind jedenfalls nicht bereit, über den bisherigen Zuschuss von 1,5 Milliarden hinauszugehen. Jetzt sind alle Beteiligten gefordert, eine Lösung zu finden.
Anfangs war es ein 9-Euro-Ticket, jetzt kostet es 58 Euro. Wie teuer darf es werden?
Das Deutschlandticket wäre auch bei einem höheren Preis noch attraktiv. Die alte Monatskarte ist deutlich teurer – und gilt nur für eine Region.
Wie stellen Sie sich eine dauerhafte Finanzierung vor?
Wir brauchen einen funktionierenden Mechanismus, damit wir nicht jedes Jahr neu verhandeln müssen. Ein Modell, über das wir mit den Ländern diskutieren, ist die Kopplung des Ticketpreises an die Inflationsrate.
Bahnkunden sind empört, weil die Familienreservierung weggefallen ist. Kann der Verkehrsminister das nicht rückgängig machen?
Für das operative Geschäft ist der Bahnvorstand zuständig. Ich hätte mir eine andere Lösung und eine bessere Kommunikation gewünscht.
Dafür soll Rabatt bekommen, wer ein Video mit speziellen Bahnfiltern auf Tiktok postet. Welche Strategie steckt dahinter: Familien raus aus den Zügen, Generation Z rein?
Lassen wir die Kirche im Dorf. Die Bahn ist ein familienfreundliches Verkehrsmittel, das muss man auch mal in Rechnung stellen.
Die Bahn ist notorisch unpünktlich, im ersten Halbjahr sind nur 64 Prozent der Fernzüge einigermaßen pünktlich ans Ziel gekommen. Wann ändert sich das?
Wir werden in den kommenden Jahren mehr als 106 Milliarden Euro in die Schiene stecken. Das bedeutet aber auch Baustellen und weitere Beeinträchtigungen des Netzes. Das wird nicht dazu führen, dass die Züge kurzfristig pünktlicher werden. Aber mit jeder Investition wird das Netz besser und zuverlässiger.
Wie viele Fernzüge sind in fünf Jahren pünktlich? 80 Prozent?
So schnell geht es nicht. Es wäre unseriös, hier eine Zahl zu nennen. Ich kann nur sagen, dass es vollkommen unbefriedigend ist, was wir heute erleben. Wir wollen und werden die Situation massiv verbessern.
Bahnchef Lutz sagt, die Menschen hätten Verständnis für die Unpünktlichkeit.
Ich glaube, das trifft nicht ganz die Wirklichkeit. Unser Anspruch muss sein, dass die Bahn pünktlicher wird – und dass Verspätungen frühzeitig und transparent kommuniziert werden. Dann wächst auch das Verständnis der Kunden.
Die Generalsanierung von 40 wichtigen Strecken soll nun erst 2035 abgeschlossen sein. Geben Sie Ihr Wort, dass es nicht noch länger dauert?
Dazu ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Wir sind mitten in einem Prozess und wollen aus Fehlern lernen für die anstehenden Sanierungen, etwa der Strecke Berlin-Hamburg . Ich habe die Bahn gebeten, einen Branchendialog mit der Bauindustrie zu führen. Wir wollen herausfinden, ob wir bei der ursprünglichen Planung bleiben und neun Sanierungen an Hochleistungskorridoren gleichzeitig vornehmen können – oder ob es ratsam ist, die Maßnahmen zeitlich zu strecken und einen Teil der Sanierungen nach hinten zu verschieben.
Bedeutet, es kann noch später werden als 2035?
Wann die Generalsanierung abgeschlossen ist, steht im Moment noch gar nicht fest. Ursprünglich sind wir von einem Ende 2031 ausgegangen. Es kann schon sein, dass die Sanierunglänger dauert. Aber das wäre kein Beinbruch.
Wie viel Geduld haben Sie mit Bahnchef Lutz?
Wir schauen uns die Bahn insgesamt sehr intensiv an. Die Herausforderungen, die wir haben, sind nicht allein ein Personalproblem.
Aber schon auch?
Im Koalitionsvertrag steht, dass wir uns auch die Personalstruktur der Bahn – Vorstände, Aufsichtsräte – anschauen wollen. Das wird zu Entscheidungen führen.
Ist Richard Lutz an Weihnachten noch im Amt?
Das werden wir an Weihnachten sehen.
Wird es Zeit für die erste Frau an der Spitze der Bahn?
Frauen in Führungspositionen sind ein großes Anliegen dieser Bundesregierung. Das wollen wir an vielen Stellen fördern – auch bei der Bahn.
Das Interview führten Jochen Gaugele und Tobias Kisling.
Quelle: morgenpost.de