Alle Interviews Alle Interviews
Patrick Schnieder sitzt auf einem dunkelroten Sessel, gestikuliert und spricht mit einer Person außerhalb des Bildes.

Quelle: BMV

Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) sieht immensen Handlungsbedarf bei Schienen, Straßen und Brücken. Warum die Aufgabe gewaltig ist und was es braucht, um die Bahn in Zukunft besser zu steuern.

Herr Schnieder, Sie sind jetzt seit sechs Wochen Verkehrsminister und mit einer Vielzahl an Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Welches beschäftigt sie am meisten?

Thema Nummer eins sind Investitionen. Wir haben Nachholbedarf bei allen Verkehrsträgern. Den wollen wir aufholen. Und dafür brauchen wir Geld. Ich bin darüber in guten Gesprächen mit dem Finanzminister.

Geld sollte in Hülle und Fülle da sein, immerhin dürfen Sie 500 Milliarden Euro Sonderschulden für Infrastrukturprojekte machen. Ihre Vorgänger konnten von solchen Summen nicht mal träumen.

Das Sondervermögen ist nicht für eine, sondern für drei Legislaturperioden ausgelegt, ein Teil ist für die Länder bestimmt, aber ja: Wir haben jetzt die Möglichkeit, unsere Straßen, Brücken, Schienen endlich zu sanieren. Das ist dringend nötig, und ich will Tempo machen. Es gibt eine Reihe von Projekten, die sofort begonnen werden könnten, wenn das Geld freigegeben ist. Mein Ziel ist, dass die Bürgerinnen und Bürger noch in diesem Jahr sehen, dass sich Dinge bewegen.

Wo müssen die Mittel aus Ihrer Sicht vordringlich investiert werden?

Das meiste Geld wird in die Bahn fließen, weil dort die Probleme am größten sind. Es gibt aber auch im Straßennetz dringend notwendige Sanierungen, Engpassbeseitigungen und Lückenschlüsse. Und auch unsere Wasserstraßen müssen modernisiert werden. Die haben enormes Potenzial – übrigens auch mit Blick auf den Klimaschutz.

Wurden Straßen und Brücken genauso kaputtgespart wie die Bahn?

Das kann man nicht vergleichen. Wir haben ein sehr grundlegendes Problem mit Brücken aus den 60er und 70er Jahren. Damals sind sehr viele solcher Bauwerke errichtet worden, die jetzt in die Jahre kommen und nicht für unsere heutigen Verkehre gemacht worden sind. Diese Brücken müssen saniert werden, allein im Kernnetz sind es rund 4000.

Lässt Sie die Zahl nicht erschaudern?

Die Aufgabe ist gewaltig. Aber der Fortschritt ist nicht so gering, wie er vielleicht aussieht. Wir reden über eine Gesamtfläche sanierungsbedürftiger Brücken in einer Größenordnung von 450 Fußballfeldern. Da mit den großen Brücken begonnen worden ist, sind 156 Fußballfelder – also ein Drittel – schon fertig. Es tut sich also schon was. Aber wir müssen schneller werden.

Wie wollen Sie dafür sorgen?

Wir brauchen mehr Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wenn wir heute eine Brücke abreißen und am gleichen Ort eine neue errichten wollen, müssen wir ein komplettes, eigenes Planfeststellungsverfahren durchführen. Das ist Irrsinn, und das werde ich ändern. Ein einfaches Genehmigungsverfahren muss ausreichen – übrigens auch, wenn die Brücke ein paar Meter versetzt gebaut wird.

Bei der Bahn liegen die Probleme nicht nur auf der Schiene, sondern auch in der Struktur. Ist die DB in Ihrer heutigen Aufstellung überhaupt noch zukunftsfähig?

Die Bahn ist ein hochkomplexes System. Ich will sie im Ganzen betrachten, um dann Ziele zu definieren – und zwar aus Sicht der Kunden, der Gesellschaft und des Staates. Erst wenn die Ziele feststehen, kann ich mich der Frage widmen, ob sie sich mit der aktuellen Aufstellung erreichen lassen. Dass es Verbesserungspotenzial bei der Steuerung der Bahn gibt, ist allerdings offensichtlich.

Was meinen Sie mit Steuerung?

Als 100-prozentiger Eigentümer der Bahn kann der Bund Ziele vorgeben. Das operative Geschäft aber liegt beim Management. Was passiert nun, wenn Ziele nicht erreicht werden? Wie kann ein Aufsichtsrat, der bestimmte Rahmenbedingungen setzt, deren Einhaltung durchsetzen? Über solche Fragen müssen wir uns unterhalten.

Für gewöhnlich tauschen Aufsichtsräte den Vorstand aus, wenn der nicht liefert. Wenn wir den Koalitionsvertrag richtig lesen, in dem von einer Neuaufstellung die Rede ist, scheint das auch bei der Bahn der Plan zu sein – oder?

Ich würde das nicht darauf verkürzen. Im Koalitionsvertrag ist eine Neuaufstellung von Aufsichtsrat UND Vorstand verabredet. Da geht es um das Gesamtkonstrukt: Müssen der Mutterkonzern und die zahlreichen Tochtergesellschaften so aufgestellt sein? Brauchen wir eine so hohe Zahl an Vorständen wie derzeit? Über diese Fragen will ich reden. Und am Ende muss man dann die Karten legen: Will und kann ich das mit dem jetzigen Personal machen oder nicht? Aber einfach den Trainer rauszuwerfen, und zu hoffen, dass alles gut wird, ist nicht mein Angang.

Sportjournalisten würden jetzt fragen, ob Bahnchef Richard Lutz noch ihr uneingeschränktes Vertrauen genießt.

Da wir hier nicht im Fußball sind, werde ich das anders beantworten. Wir wissen beide, dass wir für eine erfolgreiche Bahn aufeinander angewiesen sind. Nur wenn Eigentümer und Geschäftsführung Seite an Seite gehen, kommen wir voran. Über den Weg werden wir uns noch unterhalten. Aber bei der Richtung sind wir uns einig.

Umfasst diese Einigkeit auch die Generalsanierungen, also das monatelange Sperren und Runderneuern wichtiger Strecken?

Ja, wir halten am Grundkonzept fest, denn gerade auf überlasteten Strecken besteht einfach Handlungsbedarf. Aber wir schauen genau hin, welche Auswirkungen es hat. Muss es überall so laufen wie bei der Riedbahn, also der hoch ausgelasteten Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim, mit Komplettsperrung? Aus welchen Fehlern können wir lernen? Was bei anstehenden Projekten wie der Sanierung der Strecke Berlin-Hamburg besser machen?

Und?

Die geplanten Ersatz- und Ausweichverkehre für die Generalsanierung Berlin-Hamburg werden wir uns noch mal sehr genau ansehen. Gut möglich, dass man da nachbessern muss. Auch stelle ich mir die Frage, ob bis zu neun Streckensanierungen in einem Jahr realistisch und sinnvoll sind. Wir dürfen die Bahnkunden auch nicht überfordern.

Mit dem Aus für die vergünstigte Familienreservierung hat die Bahn dort zuletzt für Empörung gesorgt ...

Ich halte es für ein falsches Signal. Und das muss man kritisieren. Die Bahn ist ein sehr familienfreundliches Unternehmen, über die Bahncard und die kostenlose Mitnahme von Kindern bis 14 Jahre ist sie nach wie vor attraktiv. Aber ich setze ein großes Fragezeichen dahinter, ob man sich in der Hauptreisezeit und zu einem Zeitpunkt, wo wir viele Aufgaben vor uns haben, das Bahnfahren attraktiver zu machen, damit einen Gefallen tut.

Viele Menschen bewegt die Zukunft des Deutschlandtickets. Ist die gesichert?

Das müssen wir jetzt anpacken, wir haben es im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir sind in den Verhandlungen mit den Ländern, und es wird Ende Juni eine Sonderverkehrsministerkonferenz geben. Es besteht Handlungsbedarf – denn wir wollen das D-Ticket über 2025 hinaus sicher ausgestalten.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir aus diesem jährlichen Hickhack herauskommen und es eine langfristige Lösung gibt?

Das ist unser Ziel, das haben wir so vereinbart, das wollen wir erreichen. Ob das gelingt und wie das gelingt, darüber müssen wir uns jetzt auseinandersetzen.

Wird der Verkehrssektor unter ihrer Ministerschaft seine Klimaziele einhalten?

Wir stehen zu der Verpflichtung. Das ist gar keine Frage. Gleichzeitig gilt, dass die Herausforderungen beim Verkehr und beim Wohnen am größten sind. Wir dürfen die Leute nicht überfordern. Wir haben deshalb eine Kommission eingesetzt, die bis Juli aus wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Perspektive Vorschläge macht. Dann werden wir uns die Ergebnisse anschauen und versuchen, das zu implementieren.

Was ist ihr persönliches Ziel für die Legislaturperiode?

Ich möchte das Mobilitätsversprechen, das wir als Staat den Menschen geben, einlösen können. Dass sie mit den Verkehrsträgern, die sie nutzen wollen, auf eine zuverlässige Art und Weise unterwegs sein können. Dass die, die aufs Auto angewiesen sind, in ländlichen Räumen vernünftige Anbindungen haben. Dass die Verbindung zwischen einzelnen Verkehrsträgern funktioniert. Dass wir mit der Bahn ein gutes Stück vorangekommen sind, man sie wieder als zuverlässiges Verkehrsmittel benutzen kann. Das sind meine Ziele.

Das Interview führten Andrea Barthélémy und Andreas Niesmann.
Quelle: RedaktionsNetzwerk Deutschland